Plädoyer für eine neue Transparenz
von Günther Reiter
Eigentlich interessiere ich mich mehr für Fußball als für Tennis. Und bis jetzt war ich der Meinung, dass uns Sportprofis in der momentanen Phase wenig Orientierung geben können. Und doch – Novak Djokovic hat zumindest die richtige Frage gestellt.
„Ich möchte nicht von jemandem gezwungen werden, einen Impfstoff zu nehmen, um reisen zu können“ wird die aktuelle Nummer eins der Tenniswelt zitiert.
Während die Politik in Mitteleuropa mit dem Virus im „Kriegszustand“ ist und einige skandinavische Länder einen „friedlicheren“ Weg gewählt haben, ohne dass jemand weiß, wer schlussendlich „recht“ haben wird, haben viele von uns ungewohnt viel Zeit zum Nachdenken. Und genau über diesen Satz von Djokovic lohnt es sich nachzudenken. Und zwar jetzt. Denn was passiert, wenn dieser Impfstoff einmal gefunden wurde? Und wie wollen wir mit unseren Freiheitsrechten in Zukunft ganz generell umgehen? Ein wirkungsvoller Impfstoff wird ein Durchbruch sein. Und danach wird sofort gehandelt werden. Damit das kein Schnellschuss wird, können wir jetzt Position beziehen.
Ich habe eine vorläufige Meinung. Ich respektiere es, wenn andere zu einer anderen Position gekommen sind. Ich will meine Meinung dazu noch hinterfragen, meine Überlegungen herausfordern, neue Argumente dafür und dagegen aufnehmen und dann zu dem stehen können, wofür ich mich entschieden habe. Aber momentan habe ich zumindest drei Schwierigkeiten damit.
1) Wer kennt sich aus?
Gibt es im Moment überhaupt jemanden, der oder die noch den Überblick hat? Das Virus ist ganz neuartig, sagen viele. Andere sagen, dass es nur eine Mutation der Grippe ist. Hier gibt es viele, die mir eine Antwort geben wollen. Und alle verteidigen sie mit Zähnen und Klauen ihre Wahrheit. Unabhängig davon geht meine Frage tiefer: Wie können wir mit dem Covid 19 Virus und möglichen nachkommenden Viren konstruktiv umgehen? Hier wird es noch viel Grundlagenforschung brauchen. Nur – Grundlagenforschung muss finanziert werden.
2) Wem will ich glauben?
Noch nie war der Grat zwischen anerkannter, sozial abgesprochener Realität und Verschwörungstheorien so schmal wie jetzt. Wir haben in unserem gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Leben eine Komplexität erreicht, die niemand mehr vollends überblicken kann. Früher gab es sie noch, die Autoritäten, denen man einfach geglaubt hat. Mit allen Licht- und Schattenseiten gab es die. Heute wanken sie alle, die Philosophie, die Politik, die Kirchen, … für meine Orientierung will ich wissen, wer hinter Fakten und hinter Meinungen steht.
3) Eine Renaissance der Ideologien?
Die Menschheit hat immer wieder Krieg geführt. Mit verheerenden Ergebnissen. Und die Menschheit hat immer wieder reale Bedrohungen ignoriert und klein geredet. Mit ähnlichen Konsequenzen. Wahrscheinlich werden wir bald einen Impfstoff gegen Covid 19 haben. Kommt dann der nächste Krieg? Die Impfbefürworter*innen gegen die Impfgegner*innen? Sind Verfechter*innen für eine Impfpflicht automatisch Feinde der individuellen Freiheit? Werden Impfverweigerer künftig den Schengenraum nicht mehr verlasse dürfen weil sie nirgends mehr einreisen dürfen? Der Evolution des Menschen sei es gedankt: Die Gefahr, dass die eine Gruppe die andere auf dem Scheiterhaufen verbrennt oder lyncht ist über die Jahrhunderte kleiner geworden. Aber reicht uns das? Wollen wir das durch menschlichere Maßnahmen wie Hausarreste, Reisebeschränkungen, Mobbing, Ächtung und damit verbundener Vernichtung wirtschaftlicher Existenz oder ähnlichem ersetzen?
4) Gibt es eine Alternative?
Der aufgeklärte Mensch will Fakten. Der spirituelle Mensch will Antworten, die sich im Herzen wahr anfühlen. Was beide wollen, ist Verantwortung für sich und andere übernehmen. Sie wollen sich eine Meinung bilden und zu dieser Meinung innerlich stehen können und sie nach außen vertreten, ohne Repressionen ausgesetzt zu werden. Ich kann mir meine Meinung nur dann bilden, wenn ich weiß, wer hinter Fakten und wer hinter Meinungen steht. Wenn wissenschaftliche Studien veröffentlicht werden, dann will ich nachvollziehen können, wessen Geld da hinein geflossen ist. Wer diese Arbeit finanziert hat. Mit einer verpflichtenden Angabe in der Präambel der Studienergebnisse. Dann werden sich auch die Medien damit auseinandersetzen. Damit sich alle ein Bild machen können, ob sie den Financiers Glauben schenken wollen oder nicht.
Ich werde auch in Zukunft keine Tennismatches schauen. Aber ich bin Novak Djokovic für den Impuls dankbar. Und ich werde künftig noch genauer hinterfragen, wo die Informationen herkommen, die ich zur Basis meiner Entscheidungen mache. Damit meine Entscheidungen meiner Persönlichkeit, meiner individuellen Besonderheit und meiner persönlichen Verpflichtung für andere Mitglieder der Gesellschaft gerecht werden. Egal ob diese bärenstark oder vorerkrankt sind, jung oder alt, ...
Wir brauchen eine neue Transparenz. Fangen wir damit an, indem wir offener als bisher und mit gesetzlichen Verpflichtungen hinterlegt zeigen, wer was finanziert hat. Hören wir auf mit dem verdeckten Lobbying, dem feigen Versteckspielen der sogenannten Erwachsenen! Die Meinungsbildung muss nachvollziehbarer werden. Hinterfragen wir unsere gesellschaftlichen Gepflogenheiten diesbezüglich. Und vor allem: Durchforsten wir unsere Gesetzgebung in dieser Frage. Sonst handeln wir auch künftig mit Meinungen so wie die Finanzmärkte mit Derivaten, die niemand mehr versteht. Ohne diese neue Transparenz befürchte ich den Rückschritt, die Glaubenskriege. Dann werden die Kritischen und die Unbequemen wieder zu Gefahren und zu Opfern. Sorgen wir doch dafür, dass wir ihre Kraft des anders Denkens und anders Fühlens konstruktiv nutzen können. Für eine Entfaltung der Menschheit, einen Quantensprung.
Günther Reiter
Günther Reiter, Jahrgang 1974, ist in Oberösterreich aufgewachsen und studierte an der JKU in Linz Handelswissenschaften. Nach dem Abschluss 1999 lebte er in Kroatien und Kärnten. Zwischen 2006 und 2018 war er Geschäftsführer der Lebenshilfe Kärnten.