Mutig Handeln ist die einzige Alternative
von Katharina Körber-Risak
Österreich kommt nach allgemeiner derzeitiger Ansicht deutlich besser durch die Corona-Krise als viele andere Länder. Obwohl die Bedingungen nicht unbedingt einen Startvorteil versprochen haben: die Nähe zu Italien hat insbesondere Tirol stark getroffen und hat transparent gemacht, dass Ischgl (und wohl auch einige andere Skigebiete) geradezu als „Drehscheibe“ für eine europa- und weltweite Verbreitung des Virus gedient haben, weil offenkundige Warnungen aus Ausland und vom Gesundheitsministerium für einige Wochen schlicht ignoriert wurden. Mit den – gut verborgenen, wiewohl sicher existenten – Schuldgefühlen und den wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen aus dem offenbaren Systemversagen werden einige wohl noch lange zu kämpfen haben.
Dennoch sind die gesundheitlichen Gesamtauswirkungen in Österreich bislang überschaubar und ähnliche Dramen wie in Italien, den USA und anderen Ländern scheinen uns aus heutiger Sicht erspart zu bleiben. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind demgegenüber deutlich einschneidender und werden uns wohl auch noch länger beschäftigen. Denn anders als für das Virus wird es für die Wirtschaft keinen „Tag X“ geben, an dem eine Impfung gefunden ist.
Doch auch im Bereich der Wirtschaft scheint es, als ob Österreich bislang fast alles richtig gemacht hat. Natürlich kann die Regierung, der die Schlüsselrolle in einer solchen Krise zukommt, es nicht allen auf einmal Recht machen. Die schon bestehenden Unterschiede im System treten durch die Krise besonders krass hervor, wie man beispielsweise am großzügigen und an geringe Anspruchsvoraussetzungen geknüpften Fördermodell „Kurzarbeit“ sieht, das Unternehmen hilft, ihre Personalkosten vorübergehend drastisch zu reduzieren. Die Hilfstöpfe für Selbstständige und EPUs sind demgegenüber später gekommen, betraglich stark begrenzt und an deutlich höhere Hürden geknüpft. Ein weiteres Beispiel sind die Wettbewerbsverzerrungen im besonders betroffenen stationären Handel. Während viele Einzelhändler über Monate keine Umsätze erzielen, verzeichnen die Supermärkte Rekordeinkäufe und haben beim Vertrieb von Non-Food Produkten auf einmal keine stationäre Konkurrenz. Amazon und andere Onlinehändler profitieren ebenfalls erheblich von der Krise.
Auch soziale Ungleichheiten treten durch die Krise mit ganz neuer Schärfe an die Oberfläche. Die Systemerhalterinnen in der Primärversorgung sind überwiegend in den schlecht bezahlten Frauenberufen tätig. Supermarktverkäuferinnen, Pflegekräfte, Reinigung, Krankenschwestern. Die systemwichtigen „Männerjobs“ werden wiederum von extra eingeflogenen Migranten gemacht, weil die Mehrzahl der (auch durch die Krise arbeitslos gewordenen) österreichischen Arbeitskräfte für solch harte und schnelle körperliche Arbeit nicht qualifiziert sind (ein Preisproblem kann es hingegen mE nicht sein, da die Krise wohl kaum eine hohe Verhandlungsmacht auf Arbeitnehmerseite bewirkt).
Kann man dies alles kritisieren? Natürlich, der Diskurs ist sogar ganz entscheidend, um nachhaltige Lehren für das Wirtschaftssystem zu ziehen und hat ja – etwas unübersichtlich und noch von den Eindrücken der Krise wie Panik, Angst, sozialer und persönlicher Betroffenheit geprägt – längst begonnen. Warum sind dann aber die Zustimmungswerte für Kanzler und Regierung trotz all der beschriebenen Effekte der Krise so groß? Der entscheidende Unterschied zum Handeln anderer Regierungen wie bspw. in UK, USA oder auch Schweden liegt aus meiner Sicht darin, dass mutig gehandelt wurde. Der frühe und konsequente Shutdown war mutig gegenüber der Bevölkerung, da es etwas Vergleichbares bislang nicht gegeben hat und gerade am Anfang der Krise viele diese falsch einschätzten und unterschätzten. Er war auch mutig gegenüber einer der Hauptklientel der bestehenden Regierung, der Wirtschaft. Diese musste zugunsten des Allgemeininteresses ganz starke Einschnitte hinnehmen und wurde – soweit überblickbar – auch nicht mehr „getröstet“ als beispielsweise Arbeitnehmer*innen. Die massive Ausrollung der Kurzarbeit „Koste es was es wolle“ diente ja auch und gerade dem Zweck Arbeitsplätze zu erhalten und Unternehmen von Massenkündigungen abzuhalten. Mutig war auch, Empfehlungen der WHO (die sich gegen den Mund-Nasenschutz aussprachen) zugunsten von asiatischen Experten, die bereits über Erfahrungen aus erster Hand verfügten und für den Mund-Nasen-Schutz plädierten, in den Wind zu schlagen.
“Auch muß ich selbst sagen, halt ich es für wahr, daß die Humanität endlich siegen wird, nur fürcht ich, daß zu gleicher Zeit die Welt ein großes Hospital und einer des andern humaner Krankenwärter werden wird.”
Johann Wolfgang von Goethe an Charlotte von Stein, 8. 6. 1787, Rom
Jede einzelne Maßnahme muss nicht unbedingt richtig sein und kann selbstverständlich kritisiert werden. Kritisieren kann man z.B. das Zustandekommen von Entscheidungen (Einbindung von Stakeholdern, demokratiepolitische und verfassungsrechtliche Überlegungen müssen derzeit oft zurückstehen), und natürlich auch die Qualität der Durchführung (als Juristin sehe ich die ohne Begutachtung rasant zustande gekommenen und oftmals unsystematischen Krisengesetze auch kritisch; gleichzeitig möchte ich mit den Legist*innen in dieser Krise nicht tauschen und habe Hochachtung vor deren Leistungsfähigkeit und Überblick). Man kann (und sollte) darüber diskutieren, ob die Wirtschaftskammer bei der Abwicklung von Kurzarbeit und Fördertöpfen für Selbständige wirklich die richtige Institution und ihr Handeln ausreichend transparent ist. Die Liste lässt sich wahrscheinlich unendlich fortsetzen.
Das Spannungsfeld ist riesig. Führung bewegt sich nicht nur in der Corona-Krise in diesem Spannungsfeld. Überall, wo es Führung braucht, sei es in Politik, Wirtschaft, kulturellen Institutionen, Vereinen etc. gibt es eine gemeinsame Aufgabe: Entscheidungen treffen in einem Meer von Unsicherheit und gegensätzlichen Interessen. In der Welt vor Corona hatte man oft den Eindruck, dass Entscheidungsträger*innen ihr Handeln nach Partikularinteressen, Unternehmen vs. Arbeitnehmer*innen, Wirtschaft vs. Umwelt, Alt vs. Jung, Inländer*innen vs. Ausländer*innen etc. oder noch schlimmer am puren Eigennutz ausrichteten – Ibiza ist nicht vergessen, wenn auch zum Glück weit weg.
All das ist durch Corona nicht auf einmal verschwunden. Aber das neue konsequente Handeln der Regierung, die sich auf einmal nicht mehr an PR, Partikularinteressen und Umfragewerten ausrichtet, sondern tatsächlich am Gemeinwohl orientiert, auf Expertenmeinungen hört und vermeintlich unpopuläre Schritte setzt, weil sie das höhere gemeinsame Interesse in den Mittelpunkt stellt, setzt neue Maßstäbe (und wird mit hohen Umfragewerten belohnt). Die Unsicherheit wird uns auf dieser Erde nie verlassen. Der Weg hindurch scheint alternativlos. Mut!
Katharina Körber-Risak ist Arbeitsrechtlerin und betreibt eine eigene Rechtsanwaltskanzlei mit derzeit sechs JuristInnen. Sie publiziert leidenschaftlich und schreibt eine regelmäßige Kolumne zu aktuellen Themen im Wochenmagazin trend.