Geeintes Österreich, geeinte Welt

von Husham Al-Khulaifawi

In einer Zeit, in der die Zahl der Todesopfer durch das neue Coronavirus stetig wächst, versuchen weiterhin Tausende von Flüchtlingen unter Lebensgefahr die Küsten Europas zu erreichen, um eine Veränderung ihrer Lebensbedingungen herbeizuführen.

Es gibt mehrere Faktoren, die diese Flüchtlinge dazu veranlasst haben, mit aller Kraft das “Meer des Todes” zu überqueren, sich auf den Weg nach Europa zu machen und von Land zu Land weiterzureisen. Politische Konflikte und Kriege waren und sind nach wie vor einer der wichtigsten Gründe - diese haben nicht zuletzt auch zur Zerstörung der Gesundheitssysteme und der Infrastruktur in ihren Ländern geführt. Aber Flüchtlinge reisen auch wegen Krankheiten wie Covid-19 weiter, wegen größerer globaler Mobilitätsmöglichkeiten, wegen der Instabilität und des Lebens unter allgemein schwierigen Bedingungen, oder wegen des Mangels an sanitären Einrichtungen, Gesundheitsdiensten und Impfprogrammen. Und letztlich auch, da sie von der Planung der Katastrophenvorsorge und dem Kampf gegen Epidemien ausgeschlossen sind - wenn also der Zugang zu Informationen und zu angemessenem Gesundheitsschutz für Flüchtlinge zur Herausforderung wird, wie es jetzt auf den griechischen Inseln sichtbar wird.

Auch in Österreich gab es leider keine starke öffentliche Debatte darüber, wie sich die Ausbreitung des Virus auf Flüchtlinge und Migrant*innen auswirkt. Beispielsweise wäre einerseits ein Gespräch darüber hilfreich, wie es Personen, die der Landessprache nicht mächtig sind, ermöglicht werden kann, ohne Angst vor Verhaftung oder Abschiebung über aufgetretene Symptome zu berichten.

Andererseits können die Träume und Ambitionen vieler Flüchtlinge in europäischen Ländern mit mehreren anderen Hindernissen kollidieren - die wichtigsten sind wohl die Möglichkeiten der sie aufnehmenden Länder und die Fähigkeit der Flüchtlinge selbst, sich in europäische Gesellschaften zu integrieren.

Europäische Gesellschaften unterscheiden sich teils sehr drastisch von jenen, aus denen Asylsuchende kommen. Zum einen gebietet die arabische und islamische Kultur, in mancherlei Auslegung, eine klare Trennung zwischen den Geschlechtern. So weigern sich viele Flüchtlinge oft, die Idee zu akzeptieren, dass Männer Frauen die Hand schütteln oder umgekehrt. Diese Sitten und Gebräuche stehen nicht im Einklang mit den Konzepten, die die Menschen in Europa pflegen. Hinzu kommt, dass manche die Ideen und Beiträge, die Flüchtlinge einbringen möchten, nicht akzeptieren, weil sie befürchten, dadurch arabische und islamische Sitten und Gebräuche zu übernehmen. Das führt zu einer großen Kluft zwischen diesen beiden Gruppen.

Der Zivilgesellschaft kommt hier neben staatlichen Einrichtungen eine große Rolle zu. Sie kann beispielsweise gemeinsame Workshops zum besseren gegenseitigen Verständnis und zur persönlichen Annäherung organisieren. Sie kann auch die Bedeutung eines starken, sicheren und ausreichenden sozialen Sicherheitsnetzes für alle hervorheben. Regierungen können ihrerseits zivilgesellschaftlichen Netzwerken, Organisationen und Instituten ausreichend Ressourcen bereitstellen, um ihnen die Durchführung angemessener Maßnahmen zu erleichtern.

Was die europäische Asyl- und Einwanderungspolitik betrifft, gibt es natürlich die Notwendigkeit, Verfahrens- und Aufnahmestandards für Asylsuchende anzugleichen. Dies könnte auch dazu führen, dass Flüchtlinge weniger oft in andere europäische Länder weiterreisen, nachdem sie in einem Land bereits registriert wurden. So könnte auch zu einer schrittweisen Ausweitung der Freizügigkeitsrechte von anerkannten Flüchtlingen sowie zu mehr legalen Zuwanderungsmöglichkeiten beigetragen werden, wodurch auch der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften - nicht zuletzt auch für Situationen, wie sie durch die gegenwärtige Corona-Krise hervorgerufen werden - reduziert werde könnte.

Was die Auswirkungen der Krise auf die österreichische Gesellschaft betrifft, so ist es - wenn man so möchte - dem Virus gelungen, die instinktiven altruistischen Impulse, die in allen Menschen verborgen sind, hervorzubringen. Wir haben gesehen, wie Tausende sich beeilten, Spenden zu sammeln, selbst zu spenden, und vor allem auch Menschen zu helfen, die medizinische oder andere Bedürfnisse haben. Menschen stärken so ihre Verbindung zueinander. Zudem wurden viele formale und eingebildete Differenzen zwischen verschiedenen Gruppen und politischen Parteien in Österreich in den Hintergrund gerückt. Es schien, dass die politischen Führer*innen in dieser schwierigen Situation, die das Land und die Welt als Ganzes durchlebt, vor allem Einigkeit demonstrierten.

Staaten müssen demnach, egal wie weit sie wirtschaftlich entwickelt sind, auf Werte wie Harmonie, Kooperation und Synergie bauen. Diese sind die Quelle der gesellschaftlichen Kraft in Krisenzeiten. Das Wohl der Menschheit hängt also von der Einheit und Solidarität, der gegenseitigen Hilfe und des Erfahrungsaustausches zwischen den Menschen und Nationen der Welt ab.

Die Corona-Krise zeigt uns somit, dass es keinen Platz mehr geben sollte für Egoismus und Fraktionskämpfe. Und es sollte auch keinen Platz mehr dafür geben, dass dominante Volkswirtschaften und Finanzpolitiken darauf abzielen, das wirtschaftliche Wohl der einen Bevölkerung auf Kosten einer anderen zu verbessern. Die verheerenden Auswirkungen der Krise auf Volkswirtschaften und Gesellschaften können nur durch die Mobilisierung eines Kollektivs bewältigt werden, das auf menschlichen Werte setzt sowie eine Solidaritätskultur und gegenseitige Empathie entwickelt.

Durch Einheit und Solidarität können Gesellschaften dann auch über die vielen weiteren “Epidemien” triumphieren, mit denen die Menschheit derzeit konfrontiert ist - wenn sie davon überzeugt sind, dass es keine Lösung gibt, das Leid zu überwinden, es sei denn, die Prinzipien der Solidarität, der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Abhängigkeit werden verstärkt. Wir müssen es daher schaffen, von einer bloß augenblicklichen Emotion bei einer konkreten Katastrophe hin zu langfristigen und nachhaltigen Bemühungen zu gelangen, die den Bedürfnissen der gesamten Gesellschaft entsprechen. Beispielsweise könnten durch eine bewusste Weiterentwicklung humanitärer Hilfs- und Entwicklungsprogramme nicht nur natürliche Epidemien bekämpft werden, sondern auch jene, die für die Menschheit insgesamt tödlicher sind - allen voran der Terrorismus und der Extremismus.

Husham Al-Khulaifawi, geboren in Bagdad, ist Journalist und kam 2015 als Flüchtling nach Österreich. Seither arbeitet er ehrenamtlich in der Jugend- und Erwachsenenbildung sowie in einem Altenheim.

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Nach der Krise ist nicht vor der Krise