Infrastrukturpolitik und öffentliches Eigentum nach COVID19 und in der Klimakrise

von Michael Soder

Die Corona-Pandemie führte wieder einmal drastisch vor Augen, wie zentral und bedeutsam kritische Infrastrukturen für das alltägliche Leben der Menschen und für ihre Versorgung sind. Bahn, Post, Telekommunikation, Gesundheitseinrichtungen und die Wasser- und Energieversorgung müssen funktionieren. Ebenso bewusst wird die Notwendigkeit, solch zentrale Infrastrukturen nicht privaten Profitinteressen zu überlassen. Kooperation und Sicherheit – und nicht die Maximierung der Renditen – müssen bei der Versorgung im Zentrum stehen, um zumindest ein Mindestmaß an Alltag in der Krise gewährleisten zu können. Daher stellt sich für die Politik immer die Frage, welche Rolle strategische staatliche Beteiligungen an wichtigen Unternehmen spielen. Und natürlich ist diese Frage nach der Ausgestaltung der Infrastrukturpolitik auch nach der Corona- und angesichts der Klimakrise zu klären.

Eine gesamtwirtschaftliche Perspektive ist notwendig

Gerade in Zeiten, in denen unsere Systeme und Infrastrukturen an ihre Belastungsgrenzen stoßen, wird die Bedeutung von öffentlichem Eigentum, Systemstabilität und Versorgungssicherheit deutlich. Volkswirtschaftlich stehen dabei besonders als kritisch gesehene Infrastrukturen (z.B. Strom, Wasser, Wärme, Telekommunikation…) im Fokus. Sie garantieren die Aufrechterhaltung des zumindest minimal Notwendigsten. Aufgrund ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung und der stabilen Nachfrage nach diesen Infrastrukturleistungen, wird in wirtschaftlich florierenden Zeiten immer wieder der politische Versuch unternommen, privates Eigentum an ihnen zu erwerben. Unter dem Schlagwort „Mehr Privat, weniger Staat“ und unter dem Bedienen des Vorurteils, der Staat könne nicht wirtschaften, wurde in der öffentlichen und medialen Debatte der Boden für einen Ausverkauf staatlicher Beteiligungen an strategisch wichtigen Unternehmen und auch an der Infrastruktur betrieben. Die negativen Konsequenzen einer Aufwertung einzelwirtschaftlicher Profitinteressen gegenüber gesamtwirtschaftlichen Versorgungslogiken wird am Beispiel der italienischen Straßen- und Brückeninfrastruktur oder auch der britischen Bahninfrastruktur besonders deutlich. Die Vernachlässigung von Investitionen in den Erhalt und die Verbesserung der Brücken- oder Bahninfrastruktur zu Gunsten der Renditeerwartungen der privaten InvestorInnen sprechen anhand der Geschehnisse, z.B. Brückeneinsturz in Genua und in der Toskana oder ständige Sicherheits- und Qualitätsmängeln im britischen Bahnsystem Bände. An diesen Beispielen wird deutlich, dass die Aufwertung privatwirtschaftlicher Interessen gesamtwirtschaftlich gerade im Bereich kritischer Infrastrukturen kontraproduktiv ist. Sie können nicht nur die breitflächige Versorgung in Krisensituationen und darüber hinaus auch Menschenleben gefährden, sondern bei auch die zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten behindern. Denn nicht umsonst werden Qualität, Stabilität und kontinuierliche Verbesserung kritischer Infrastrukturen als wesentliche Voraussetzungen für eine prosperierende Wirtschaft der Zukunft gesehen. Als wichtige Standortfaktoren bilden diese Infrastrukturen die Basis, auf der sich wirtschaftliche Aktivität entfalten kann. Das betrifft sowohl Infrastrukturen im engeren Sinne, also Netzinfrastrukturen (z.B. Bahn, Straße, Wasser, Energie, etc.) als auch systemische Dienstleistungen (z.B. Bildungs- und Gesundheitssysteme).

Infrastrukturen und öffentliche Verantwortung

Uns sollten die Beispiele aus anderen Ländern eine Lehre sein: Potenzielle Profite, die sich aus dem Betrieb kritischer Systeme und Infrastrukturen ergeben, müssen wieder bestmöglich in den Erhalt und die Weiterentwicklung dieser Anlagen und Systeme fließen und nicht als Renditen in die Taschen privater AnlegerInnen. Das in den letzten Jahren oft vorherrschende, grenzenlose Vertrauen in private AkteurInnen und deren Willen, gesamtwirtschaftliche Optimierung zum Nutzen aller zu betreiben, wirkt aufgrund zahlreicher Erfahrungen mehr als naiv. Hier geht es um nichts weniger als die Frage der Verantwortung der öffentlichen Hand und der Abwägung zwischen Erhalt und Verbesserung von Infrastrukturen einerseits und privaten Profitinteressen andererseits.

Diese grundlegende Problematik bei den vielen Privatisierungsbemühungen wird in Krisenentwicklungen besonders deutlich. Gerade bei kritischen Infrastrukturen der Energie-, Mobilitäts- und Kommunikationsbereitstellung braucht es demokratische Kontrolle und einen Blick über einzelwirtschaftliche Interessen hinaus. Ein gesamtwirtschaftlicher Fokus auf Betrieb, Erhaltung und (Weiter)Entwicklung der Infrastrukturen ist dringend notwendig. Die öffentliche Hand trägt dabei in ihrem Einflussbereich die Verantwortung für die Sicherheit und Stabilität der Versorgung, und sie muss daher sicherstellen, dass dieser gesamtwirtschaftliche Blick gewährleistet wird. Ein Ausverkauf strategischen öffentlichen Eigentums an Private gefährdet, je nach Umfang der Privatisierung, die Sicherheit oder Versorgung der Allgemeinheit. Internationale Beispiele (z.B. Deutschland, Frankreich etc.) zeigen überdies, dass die Privatisierungen oft zu hohen Kosten für die öffentliche Hand führten, da sie letztlich die – durch die Gewinnmaximierung von einigen Privaten bzw. (Groß)Konzernen – versäumten Investitionen nachholen mussten.  Dadurch entstand dann eben häufig eine sogenannte „(Re-)Sozialisierung“ auf Kosten der SteuerzahlerInnen.

Klimakrise, Investitionen und strategisches Eigentum

Dabei wäre es gerade als Antwort auf die Klimakrise dringend erforderlich, unsere Infrastrukturen, seien es Energie-, Straßen-, Schienen-, Wasser- und Telekommunikationsinfrastruktur, fit für die Zukunft zu machen und etwaige anfallende Renditen in diese Infrastrukturen zu reinvestieren. Forschung, Innovation und die Anpassung – insbesondere der fossilen Infrastruktur – sind notwendig, um unsere Wirtschaft auch in einer dekarbonisierten Welt zukunfts- und krisensicher zu gestalten. Der öffentlichen Hand kommen dabei gleich mehrere Aufgaben zu.

Einerseits, muss sie zentrale Infrastrukturen und Unternehmen vor einem Ausverkauf zu schützen, um eine stabile Versorgung auch in Krisenzeiten gewährleisten zu können. Andererseits, muss die öffentliche Hand mit ihrem Eigentum darauf achten, dass sich strategisch bedeutsame und wichtige Infrastrukturen in richtige, zukunftsfähige Richtungen entwickeln. Dies trifft insbesondere bei der fossilen Energieinfrastruktur zu, welche mit den Dekarbonisierungserfordernissen in einer (für Infrastrukturinvestitionen) relativ kurzen Zeitspanne angepasst und weiterentwickelt werden müssen. „Grünes Gas“, Wasserstoff, Erneuerbare Energien, Netzausbau, Sektorkoppelung – all diese Bereiche gilt es in den nächsten Jahren weiterzuentwickeln. Wesentlich wird dabei sein, dass die Gewinne solch zentraler Infrastrukturunternehmen nicht als Rendite für einige Wenige abfließen, sondern für die notwendigen Investitionen herangezogen werden. Denn alleine schon aus grundsätzlichen Überlegungen eines gerechten Beitrags an der Bewältigung der Klimakrise darf es nicht sein, dass die Allgemeinheit doppelt zur Kasse gebeten wird (sowohl bei der Errichtung der Infrastruktur als auch bei der erneuten Adaption), aber die Profite in privaten Taschen verschwinden und so nicht zur Finanzierung dieser Mammutaufgaben zur Verfügung stehen. Die öffentliche Hand trägt in all diesen Punkten die Verantwortung und muss ihr strategisches Eigentum – seien es ganze Unternehmen oder Beteiligungen, seien sie in direktem oder indirektem Besitz – nutzen, um die kritischen und zentralen Infrastrukturen zukunftstauglich zu machen und auf eine faire Finanzierungsbeteiligung zu achten. COVID19 hat uns die Bedeutung kritischer Infrastrukturen und der allgemeinen Systeme der Daseinsvorsorge wieder deutlich vor Augen geführt. Nach der Corona-Krise gilt es deshalb auch den allgemeinen und öffentlichen Blick auf die so immanent wichtige Infrastruktur und Daseinsvorsorge zu erweitern, sie nicht als Kostenfaktor, sondern als das öffentliche Vermögen zu sehen, das sie auch tatsächlich sind.

Michael Soder

Michael Soder arbeitet, forscht und lehrt als Ökonom zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen in Wien. Seine Themenschwerpunkte sind Strukturwandel und die Energie- und Klimapolitik.

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