Wohlstand ohne Wachstum
von Josef Mühlbauer
Die Gletscher schmelzen dahin, Wälder vertrocknen und Äcker bringen aufgrund von Starkregen und Dürreperioden geringere Ernten. Die Zeichen der Zeit stehen im wahrsten Sinne des Wortes auf Sturm. Zusätzlich zur Umweltkrise beobachten wir weltweit autoritäre und rechtspopulistische Tendenzen, Ressourcenkämpfe, Umstrukturierungen aufgrund der Digitalisierung und last but not least wirtschaftliche Turbulenzen. Die derzeitige Corona-Krise könnte hierbei als Wendepunkt angesehen werden, wobei große gesellschaftspolitische Fragen in den Vordergrund treten: Wie müssen gesellschaftliche Naturverhältnisse gedacht werden, um nicht zu bloßen Lippenbekenntnissen degradiert zu werden? Wie muss Wohlstand konstituiert sein, damit er nicht auf Kosten anderer geht? Ist das gute Leben für alle auch ohne permanentes Wirtschaftswachstum möglich?
Im Zeitalter des Anthropozäns ist der Mensch zwar verantwortlich für das Artensterben und die Klimakrise, ein Umbruch ist jedoch möglich und umsetzbar. Doch es bedarf eines grundlegenden Umdenkens. Die Klimakrise zeigt die grundlegende Widersprüche unseres Wirtschaftssystems auf: Unsere Wirtschafts- und Produktionsweise basiert nämlich überwiegend auf fossilen Energieträgern und der Logik des permanenten Wachstums. Wohlstand wird heute überwiegend am Wirtschaftswachstum (BIP) gemessen. Exponentielles Wachstum führt jedoch zu Ressourcenknappheit und Umweltschäden. Nachgedacht werden muss, wie Klimaschutzmaßnahmen nicht nur transparent und sozial gerecht eingeführt werden, sondern wie sie von partizipativen Gesellschaftsprozessen begleitet werden können. Der Klimabonus wird in diesem Kontext seitens des Klimavolksbegehrens als adäquate Lösung angeboten. Klimaschädliche Subventionen müssen demnach abgebaut und sozial gerechte Klimasteuer auf Treibhausgase eingeführt werden. Dieser Klimabonus löst einerseits einen sozial-gerechten Umverteilungseffekt aus, indem Ärmere davon profitieren. Abseits davon ermöglicht er zugleich eine grundsätzliche Handlungsfreiheit, denn eine gerechte Kostenverteilung der einzelnen Konsumentscheidungen wird ganz im Sinne des Verursacherprinzips geregelt. Andererseits läuft man hier jedoch Gefahr die Reboundeffekte des „grünen Wachstums“ zu übersehen. Der Glaube an den technologischen Fortschritt der hier mitschwingt muss ebenfalls problematisiert werden. Zur Erinnerung: Der Reboundeffekt bezeichnet jenen Rückschlageffekt bei dem eine Effizienzsteigerung dafür sorgt, dass es zu einem Anstieg des Energieverbrauchs kommt. Hier geht es darum das Verbraucher geringere Ausgaben haben und weitere Produkte erwerben bzw. Produzenten mehr erzeugen. Am Kernkonzept unserer Wirtschaftsweise, also am permanenten Wachstumsdrang, wird nicht gerüttelt. Hier schließe ich mich den Vertreter*innen der Degrowth-Bewegung an, die keine relative sondern absolute Senkung des Ressourcenverbrauchs und der Emissionen anstreben. Für einen sozial-ökologisch und gerechten Strukturwandel braucht es daher eine Verfassung, die Umwelt als gesellschaftliches Naturverhältnis, also nicht getrennt vom Menschen und seiner Wirtschaftsweise betrachtet. Strategien zum Klimaschutz in der Verfassung müssen darüber hinaus zum Ziel haben unsere externalisierende Art des Wirtschaftens grundlegend zu verändern und zwar nach den Prinzipien von Suffizienz („das richtige Maß“) und der Bedürfnisorientierung. Im Zuge der Digitalisierung müssen auch Maßnahmen zur Sicherung des sozialen Wohlstands und eine Demokratisierung der Wirtschaft in der Verfassung verankert werden. Mit diesen Maßnahmen würde man auch dem Rechtspopulismus und autoritären Tendenzen entgegensteuern. Der Umbruch hin zur Postwachstumsgesellschaft beinhaltet alternative Wohlstandsindikatoren (z.B. Zeitwohlstand), ökologische Fiskalpolitiken, Emissionsbegrenzungen, gemeinschaftliche Infrastrukturen und nicht zuletzt die Förderung regionaler Selbstversorgung. Das gute Leben für alle in der Postwachstwachstumsgesellschaft wird weiters durch gemeinwohlorientierte Wohnprojekte, Ernährungsräte, demokratische und selbstverwaltete Energieversorgung, regionale Wirtschaftskreisläufe, Agrarkooperative und durch kleinere Projekte wie Commoning (Gemeingüter) und Car-Sharing charakterisiert. Staatliche Investitionen in den öffentlichen Verkehr kommt der Allgemeinheit zugute und ist umweltfreundlicher als die Automobil- und Flugindustrie. Nachdem im Zuge der Coronapandemie große Teile der umweltbelastenden Industrien stillgelegt wurden, ist die Luft in China sauberer, Fischbestände und Flüsse regenerieren sich wieder. Das Wirtschaftswachstum wurde dramatisch gebremst, hatte für weniger privilegierte Gruppen jedoch prekäre Folgen. Dies ist ein Fall von Degrowth by desaster. Degrowth by design – also der Umbruch zur Postwachstumsgesellschaft liegt in unserer Hand.
Josef Mühlbauer
Josef Mühlbauer BA, studiert im Master Politikwissenschaft und nebenbei Philosophie. Er ist Mit-Initiator von Students for Future Vienna und arbeitet ehrenamtlich für das Varna Institute for Peace Research (VIPR).