Cui bono? Wem nützt es?
von Peter Trefflinger
Die Coronakrise hat uns mittlerweile einige Wochen im Griff, und wie unser Alltag in den kommenden Monaten aussehen wird, ist noch recht ungewiss. Dass man dieses Virus in einem Krieg „besiegen“ würde können, wie es manche Politiker anfänglich formuliert hatten, ist zur absoluten Illusion geworden. Es wird die Aufgabe sein, mit diesem Krankheitserreger in der Welt zu leben.
Die Welt nach Corona - oder vielmehr mit Corona - wird also anders aussehen als zuvor, soviel zeichnet sich schon ab. Auch dass es starke Verlierer*innen dieses einschneidenden Ereignisses geben wird, ist genauso klar wie die Tatsache, dass manche daraus gestärkt hervorgehen werden. Dass jedoch mitten in der Krise einige Konzernlenker*innen ganz aktiv Gewinnmaximierung auf Kosten der Steuerzahlenden zu betreiben versuchen, zeigt eine abstoßende Fratze unseres Wirtschaftssystems. Inwieweit der Banken- und Finanzsektor unserem Gemeinwohl dienlich ist, wird auch neuerlich zu überprüfen sein. Dass etwa manche hochspekulative Praktiken den Kapitalmarkt stark destabilisieren können, weiß man spätestens seit der großen Weltwirtschaftskrise von 1929. Dennoch sind die Weichen weiterhin auf Liberalisierung gestellt. Cui bono? – Wem nützt es?
Plötzlich waren sie also sichtbar und mit ihnen deren Arbeitsbedingungen: Pflegekräfte, die zu Tausenden aus unseren östlichen Nachbarländern kommen, um unsere Alten für wenig Geld zu pflegen. Erntehelfer, die unter prekären Verhältnissen unser Gemüse ernten. Freischaffende, die etwa im Bereich der Gesundheit, der Kunst oder der Weiterbildung dienen und ohne jede Absicherung seit Jahrzehnten ihrem oft schlecht bezahlten Beruf nachgehen und damit ihre Familien ernähren.
Die Notwendigkeit dieser Dienste – ja, es sind allesamt dienende Tätigkeiten - wird in dieser Krise in eindeutiger Weise sichtbar. Und über deren Arbeitsbedingungen lässt sich nun nicht mehr einfach hinwegblicken. Was eint also diese Gruppen von Arbeitenden: Ernte- und Pflegehelfer sowie die salopp „Neue Selbstständige“ genannten?
So vielfältig die Berufe auch sind, in jedem Fall eint sie das Dienende. Dieser Begriff allein schreckt gewisslich viele davon ab, solch einen Beruf auszuüben. Denn ohne eine entsprechende Grundhaltung läuft da gar nichts. Und auch in unserer Zivilgesellschaft würde ohne Dienende vieles nicht mehr laufen! Nennen wir es also beim Namen: DIENENDE! (Wer möchte, darf sich daran erinnern, dass das Wort „Minister“ nichts andere bedeutet als Diener.)
Was ist dieser doch so heterogenen Gruppe von Berufen noch gemein?
Allesamt sind es Berufe mit Einsatz der Persönlichkeit, des Menschen selbst. Letztlich sind es Aufgaben, die nur zu einem minimalem Teil von Maschinen übernommen oder in ferne Länder ausgelagert werden können: Psychotherapeut*innen, Pflegekräfte, Musiker*innen, Coaches, Schauspiele*innen, Hebammen, Graphiker*innen etc. Und all diese Berufen haben gemeinsam, dass die Tätigkeit nur sehr begrenzt beschleunigt werden kann. Eine Pfleger*in – schneller pflegen? Eine Therapeut*in – schneller therapieren? Eine Musiker*in – schneller musizieren? Eine Hebamme – schneller entbinden?
Es ist was es ist; es braucht, was es braucht. Und mit dieser Unmöglichkeit, die Abläufe nennenswert zu beschleunigen, zu rationalisieren sind genau diese Tätigkeiten zu einem absolut ungeliebten Stiefkind innerhalb unserer Wirtschaftswelt geworden.
Ein internationaler Wettbewerb lässt sich vordergründig damit tatsächlich nicht gewinnen. Denn Kosteneinsparung bzw. Gewinnmaximierung durch Beschleunigung ist hier schlichtweg nicht möglich. Eine Auslagerung von Dienstleistungen von Mensch zu Mensch in Billiglohnläder? Schwer realisierbar. Also wurde gerade in diesen Bereichen schlichtweg die Arbeitslast in den letzten Jahrzehnten extrem erhöht, beziehungsweise der Stundenlohn drastisch nach unten gedrückt.
Für die Berufstätigen in diesen Sparten kommt noch dazu, dass sie – im Gegensatz etwa zu vielen Handwerksberufen – meist keinerlei zusätzliche Einkunftsmöglichkeiten durch den Verkauf von Materialien innerhalb ihrer Tätigkeit haben. Eine „Gewinnspanne“ existiert hier nicht. Ergo: Verliererstraße.
Freilich umfasst der Kreis der dienenden Berufe nicht bloß viele Neue Selbstständige sowie Pflege- und Erntehelfer*innen. Allen voran Spitalsärzt*innen, Krankenpfleger*innen, Lehrer*innen, Kindergartenpädagog*innen, genauso wie gerade in dieser Zeit Mitarbeiter*innen in Supermärkten etc.
Was fällt auf? Auch diese Berufsgruppen zählen bei weitem nicht zu den Topverdienern, wenngleich sie durch geordnete Anstellungen und gesetzliche Interessensvertretungen normalerweise wesentlich größere Sicherheiten bzw. bessere Auffangnetze haben.
Das sinnentleerte Credo „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“, lässt sich im Brennglas der Krise nun jedenfalls absolut nicht mehr aufrechterhalten.
Die Frage „cui bono?“, wem nützt es, wird in unserer Gesellschaft nach und mit Corona bei Fragen der Entlohnung vermehrt gestellt werden müssen. Und damit sollte man wohl ein neue Maxime etablieren: Am Umgang mit den Schwachen und Dienenden wird man die Reife und das Wohlergehen einer Gesellschaft erkennen.
Und wem das zu lang ist: „Geht’s den Dienenden gut, geht’s uns allen gut!“
Peter Trefflinger lebt und wirkt als freischaffender Musiker und Musikpädagoge. Er ist auch studierter Chemiker und arbeitete einige Jahre in diesem Bereich.