Gegen eine Politik der Einkerkerung
von Tanja Šljivar, Ana Vilenica, Olga Dimitrijević and Tamara Antonijević:
Das Virus ist real. Es schädigt und tötet Körper, uns und Menschen, die wir lieben, nach denen wir uns sehnen, mit denen wir Kaffee getrunken haben oder die wir nicht ausstehen können. Da wir ein Bewusstsein für das Virus haben, sitzen wir alle vier derzeit zu Hause. Aber das bedeutet nicht, dass das Virus unsere komplette Realität unter seine Kontrolle gebracht hat, und dass sich, obwohl die ganze Welt scheinbar stillsteht, abgesehen vom Virus keine gesellschaftlichen und politischen Strömungen abspielen. Gerade deshalb ist es sowohl möglich als auch notwendig, außerhalb von Entweder-Oder-Standpunkten zu denken, außerhalb einer Dichotomie, die darin besteht, dass auf der einen Seite eine Unterwerfung unter die Anforderungen des Staates und der Wissenschaft stattfindet, und auf der anderen Seite Verschwörungstheorien verbreitet und unbesonnen behandelt wird.
“The year 1321 might be the only one in history in which the sick, infected, and disfigured organized collectively to take over their world. Or at least this was the rumor. It was believed that the lepers had planned for two years—not just for their revolt, but also the world after it. They planned who would get what and how. The wells, streams, and fountains would be simultaneously polluted with a poison—a mix of their urine and blood and four different herbs and a sanctified body. All of France (all who weren’t lepers) would die or become lepers themselves. The healthy who survived the sick persons’ revolt, now themselves sick people, would be the natural citizens of the sick persons’ kingdom.
The lepers never ruled the world: the plot was found out, the lepers were rounded up and brutalized, burned, tortured, imprisoned. Leper panic spread throughout Europe. But it is not the consequence of the lepers’ plot that interests me—repression is as common as a season—it is that history contains the dream of a leper revolt at all.
“Illness,” wrote the German radical group Socialist Patients’ Collective, “becomes the undeniable challenge to revolutionize everything—yes, everything!—for the first time really and in the right way…”
It’s like a nurse once said to me in the infusion room: “It takes a wolf to catch a wolf.”
UmBruch.at dankt den Autorinnen für diesen Textauuszug. Die Vollversion kann auf zuhause-denken.com gelesen werden.
Die Autorinnen Tanja Šljivar, Ana Vilenica, Olga Dimitrijević and Tamara Antonijević haben einen politik-, sozial- und theaterwissenschaftlichen Hintergrund. Individuell arbeiten sie an unterschiedlichen Projekten im Bereich Theater, Literatur, Politik, Journalismus und Aktivismus. Ihr Collage-Text entstand aus dem Bedürfnis heraus, in einem Augenblick, in dem die ganze Welt sich in Selbstisolation befand, gemeinsam über die tektonischen Veränderungen, in der Gesellschaft und in unser aller Leben nachzudenken, hervorgerufen durch Pandemie und Krisenmanagement.
Anne Boyer, The Undying