Learning from Quarantine… 

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von David Calas:

Einiges wird sich dann doch ändern, denken viele. Eine Rückkehr zur Normalität wünschen sich jedoch die meisten. Doch was kann uns eine derartig tiefgreifende Universalkrise für unsere gelebte Umgebung lehren? Wie geht es weiter im postpandemischen Alltag? Ein Aufruf zur kritischen Reflexion und vor allem zum Handeln!

Die sozialen Einschränkungen während des Lockdowns und die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Reaktionen könnten nicht einheitlicher sein. Wir passen uns einerseits widerstandslos den auferlegten Maßnahmen an, schränken unseren Bewegungsradius drastisch ein, während andererseits unsere Sehnsüchte nach öffentlicher Raumnutzung steigen. Ein erzwungener temporärer Status, weshalb wir gelernt haben, über unsere Fenster sowie Balkone zu interagieren, in unserem eiligst eingerichteten Homeoffice zu arbeiten und uns zum Vergnügen abends mit Freunden digital per Video zu verabreden. Sozialromantische Züge einer Krise, die Material für ein gutes Drehbuch bieten könnten. Gesellschaftliche Reaktionen, die jedoch auch einen Konflikt offenlegen, der zwischen Anpassung an die gegebenen Umstände und der Sehnsucht nach präpandemischem Alltagstrott schwankt.

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(Fast) alle im selben Boot

Am Höhepunkt der Krise saßen weltweit rund vier Milliarden Personen im selben Boot, Verzeihung, Haushalt. Wobei das Dach über dem Kopf, ein internationales Menschenrecht zweiter Generation, längst keine allgemeine Selbstverständlichkeit darstellt. Räumliche Ungleichheiten, die in Zeiten von Krisen verstärkt hervortreten, aber nur bedingt den Weg in die Berichterstattung schaffen. Abseits der Ungleichheit wurde unsere ganze Umgebung schlagartig in eine surreale Stimmung getaucht und der gängige Modus Operandi auf ein Minimum heruntergefahren. Öffentliche urbane Räume, die einst eher hektisch und lärmend in Erscheinung traten, beruhigten sich. Menschen bewegten sich langsamer und in größeren Abständen über Fußgängerwege, weshalb, um Abstand halten zu können, gar Straßen gesperrt wurden. Die akustischen Störkomponenten nahmen infolge des reduzierten Verkehrsaufkommens ab und die Luftqualität verbesserte sich. Öffentlich ausgetragene Aktivitäten wanderten mittels digitaler Behelfe ins Private. Nur das Nötigste wurde mit einem Ausgang ins Freie erledigt. Zustände, woran sich die Fragilität des Modus Operandi sowie die Grenzen urbaner Qualitäten erkennen lassen.

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Synchronisierung des Eindeutigen

Räumliche Zusammenhänge, die teilweise vom menschlichen Maßstab entkoppelt wurden und schon seit längerem ein Handeln einfordern. Paris scheint in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle einzunehmen. So fand bereits in präpandemischen Zeiten die ‚Stadt der 15 Minuten‘ Einzug in die politische Agenda der Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Funktionen und Aktivitäten, die zum guten und notwendigen urbanen Leben gehören, sollen demnach mittels 15-minütiger Fußwege sowie Fahrradstrecken erreichbar sein. Dafür sollen 60.000 Autos verbannt, Begrünung intensiviert und freiwerdende Straßen in Aneignungszonen für Bewohner umgewandelt werden. Sogenannte urbane Räume menschlichen Maßstabs, die nach der Pandemie verstärkt eingefordert werden könnten. Ein längst überfälliges Umdenken, weshalb die Politik mit neuen urbanen Narrativen liebäugelt.

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Amsterdam sah sich sogar während der Covid-19-Einschränkungen zum Handeln verpflichtet, weshalb kurzerhand die Umsetzung eines ‚Stadtportraits‘ zur urbanen, ökologischen sowie ökonomischen Stärkung angekündigt wurde. Die Rede ist von einem „Donut“-Ansatz, der von der Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth entwickelt wurde. So sollen sich im geschützten Kreis gesellschaftliche Fundamente wie Bildung, leistbares Wohnen, Gleichstellung und politische Teilhabe befinden. Geschützt wird dieses Loch im Donut von einem kreisförmigen Rahmen, der die ökologischen Grenzen des Planeten hinsichtlich lokaler Konsumketten, nachhaltiger Raumproduktion und Förderung nachhaltiger Energiequellen symbolisiert. Ein frittiertes Gebäck, das in einfacher Form die urbane Balance zwischen Ökologie und gesellschaftlichem Anspruch darstellt.

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Reflektiertes Handeln

Diese vorausschauenden urbanen Narrative zeigen ein politisches Handeln struktureller Reflexion. Womöglich die größte Lehre und zugleich ein zu definierender Aushandlungsraum nach der Corona-Krise. Immerhin leben wir in Städten des 19. Jahrhunderts, denen im 20. Jahrhundert fragwürdige städtebauliche Entwicklungen folgten und die seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts mit ‚smarten‘ Technologien ergänzt werden. Nachvollziehbar, dass sich die Synchronisationsschwierigkeiten zwischen den unterschiedlichen Zugängen und Planungsauffassungen aus drei Jahrhunderten während der Pandemie rapide zuspitzen. Reibungen, weshalb Arbeit und prädefinierter Raum anhand digitaler Tools sich zusehends entkoppeln, weshalb sich die Frage nach einer architektonischen Zusammensetzung von Arbeitsräumen ergibt. Freizeitaktivitäten mittels Online-Tutorials in private Haushalte wandern, wodurch die Freizeitindustrie vor einem Paradigmenwechsel steht. Kultur über virtuelle Rundgänge sowie digitale Festivals erfolgt und sich plötzlich selbst hinterfragt. Das Tracking übers Smartphone sehr stark debattiert wird und eventuelle Zugangsbeschränkungen bei Nicht-Nutzung mobiler Applikationen in Erwägung gezogen werden. Ehemals als selbstverständlich angenommene physische Räume aufgrund von Social-Distancing-Regeln umstrukturiert werden. Onlineplattformen urbane Distanzen für das Individuum verkürzen, weshalb Wege übers Digitale auf Lieferdienste umgelegt werden. Und schlussendlich räumliche Distanzen intensiver wahrgenommen werden, wodurch eine veränderte Maßstäblichkeit entsteht.

Beobachtungen, die lediglich die Spitze des Eisbergs an Veränderungen darstellen, aber das Ausmaß an zukünftigen Herausforderungen gegenüber städtischem Raum sowie gesellschaftlicher Interaktion erahnen lassen. Damit wir aus den Folgen lernen und uns eine weitere Pandemie erspart bleibt. Learning from Quarantine…

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Der Artikel lehnt sich an das kürzlich erschienene Büchlein: David Calas: Learning from Quarantine, 40 historische Geschehnisse während des COVID-19-Lockdowns und deren urbane Schlussfolgerungen für die Zukunft (Deutsch und Englisch).

Von David Calas

David Calas ist Architekt, Lehrbeauftragter, Autor und Kurator. Mit Studio Calas beschäftigt er sich mit fließenden Übergängen zum Urbanen, zum Architektonischen, zum Soziokulturellen, zum Digitalen und zum Politischen. Als Gastprofessor an der German University Cairo/Campus Berlin lotet er Handlungsfelder, die anhand von Mitgestaltungsstrategien unter Einbeziehung digitaler Betrachtungsweisen erweitert werden, aus.

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